Geändertes Lüftungsverhalten im Schulbereich - Ein Votum


"Lüften ist das neue Händewaschen"

Votum für die Einführung datenbasierter Lüftungszyklen im Unterricht

Autor: Robert K. Engel

Aktualisiert am 30. August 2020

Problembeschreibung:

Wissenschaftler der Universität Florida (LEDNICKY et al. 2020), konnten erstmals nachweisen, dass lebensfähige aerosolgetragene Corona-Viren in der Luft eines Krankenzimmers mit Coronainfizierten vorkommen. Der leitende Virologe der Untersuchung, JOHN LEDNICKY, führt im selben Bericht die geringe Virenzahl in den Proben auf die intensive künstliche Belüftung des Raumes zurück, durch die die Luft sechsmal pro Stunde ausgewechselt und gefiltert wurde. In weniger stark belüfteten Räumen wie etwa in Schulen, so LEDNICKY, könnten sich womöglich viel mehr Viren in der Luft anreichern.

In Unterrichtsräumen soll regelmäßig gelüftet werden um eine mögliche aersolgetragene Viruslast zu verringern. Nach Martin KRIEGEL von der TU Berlin, Deutschlands führender Experte für die Belüftung von Räumen, dauert es nur Minuten bis Corona-Aerosole überall im Büro verteilt sind. Bei einem Interview mit der WirtschaftsWoche erklärt er, wie sich Infektionen verhindern lassen, welche Belüftung die sicherste ist und was Arbeitnehmer ihren Chef jetzt fragen sollten. Seine Erkenntnisse lassen sich auf andere Arbeitsräume mit vielen Personen, wie Unterrichtsräume, übertragen.

 

Nicht in allen Unterrichtsräumen in Deutschland können alle Fenster vollständig geöffnet werden. Manche Fachräume können zudem nur über Lichtschächte vertikal belüftet werden. Nur wenige Schulen haben eine stationäre Umluftanlage mit Frischluftzufuhr und Virenfilter. Letzteres System wäre aus meiner Sicht das Einzige bei welchem - auch ohne Abstand und Maske - das Infektionsrisiko deutlich minimiert werden könnte. Existieren keine stationären Anlagen könnten mobile Luftreiniger zu diesem Zweck eingesetzt werden. Nach Prof. KÄHLER (et al. 2020), von der Universität der Bundeswehr in München, stellen solche "Raumluftreiniger mit großem Volumenstrom und hochwertigen Filtern der Klasse H14 aus unserer Sicht eine sehr sinnvolle technische Lösung dar, um in Schulen, Büros, Geschäften, Wartezimmern, Gemeinde- und Vereinshäusern, Aufenthalts- und Essensräumen etc. die indirekte Infektionsgefahr durch Aerosole stark zu verringern."  In kleinen Räumen bis 80qm liesse sich nach KÄHLER die Aerosolkonzentration durch die Verwendung eines Raumluftreinigers innerhalb von 6 Minuten halbieren.

Ein solches Geräte hätte zwar den Vorteil, dass man die Virenlast ohne viel zu Lüften, was im Herbst und Winter sicherlich zu Problemen führt,  reduzieren könnte; bei einem Stückpreis von 4000 € zeigt sich, dass ein solches Gerät finanziell begründet nur in bestimmten ausgewählten Unterrichtsräumen oder Arbeitsräumen, nie in allen Unterrichtsräumen seine Anwendung finden wird. Die Studie von KÄHLER et al. (2020) verrät leider kein Wort über die Betriebslautstärke des verwendeten Raumluftreinigers - für die Nutzung in Unterrichtsräumen, wäre eine solche Information sehr nützlich.

 

Dort wo weder ein stationärer noch ein mobiler Raumluftreiniger vorhanden ist oder deren Einsatz nicht finanzierbar oder aufgrund ihrer Lautstärke nicht hilfreich ist, sollten pragmatisch evtl. low-cost-Maßnahmen angedacht werden, welche das Infektionsrisiko flächendeckend minimieren können. Gerade in Räumen, wo sich mehrere Menschen aufhalten und für eine humanbedingte Umwälzwirkung der Luft und dadurch einer schnelleren Verteilung von Partikeln in der Luft sorgen, ist ein kontrolliertes Lüftungsverhalten erforderlich. Von der Komission für Innenraumlufthygiene des Umweltbundesamtes liegt eine Stellungnahme zu geeigneten Lüftungsmaßnahmen in Corona-Zeiten vor. Momentan ist das Lüftungsverhalten durch Hygienekonzepte der Landesschulbehörden geregelt.  Vor Ort entscheidet letztlich immer der Lehrer nach Gefühl oder vorgegebener Zeitregelung über die Lüftungsfrequenz und die Lüftungsdauer.

 

Problemlösung:

Ein Lösungsvorschlag kommt von der TU-Berlin von Prof. Martin KRIEGEL. Er hat viele Arbeiten über die Aerosolverbreitung in Räumen geschrieben. In einem Interview (KRIEGEL 2020) hat Prof. KRIEGEL vorgeschlagen das Lüftungsverhalten in Räumen coronabedingt deutlich zu ändern. Da die Viren für das bloße Auge nicht erkennbar sind, besteht nach KRIEGEL auch keine Kontrolle, ob das Lüftungsverhalten ausreichend ist. Alternativ lässt sich in der Raumluft an der Kohlenstoffdioxid-Konzentration als Frischluft-Indikator messen, ob genügend Luftaustausch durch Lüften erfolgt ist. KRIEGEL empfiehlt die vermutliche Viruslast in der Luft, die wohl mit dem CO2-Wert korreliert, über ein CO2-Messsystem mit Farbanzeige indirekt abzuschätzen. Mit dem strategischen Platzieren einer solchen CO2-Ampel kann angezeigt werden, ob eine ordentliche Frischluftzufuhr gewährleistet ist. Grün zeigt eine ausreichende Frischluftzufuhr an, Gelb bezeichnet, jetzt sollte mehr gelüftet werden und Rot steht für eine hygienisch bedenkliche CO2-Konzentration.

Die Nutzung eines solchen CO2-Messsystems mit einer Signalanzeige in Klassenräumen würde dazu führen, dass die Lehrer nun dateninduziert ihr Lüftungsverhalten den situativen Gegebenheiten anpassen können und dadurch die vermutliche Viruslast reduzieren. Meines Wissens gibt es keinen anderen indirekten Ansatz, auch keinen direkten, über die Bestimmung der realen Virenkonzentrationen, um datengeleitet die Viruslast im Klassenraum oder in Büro- oder Sitzungssälen zu senken. CO2-Ampeln mit Signalfarben können im Internet für ca. 150 bis 300 € bezogen werden. Ein flächendeckender Einsatz wäre bei diesem Stückpreis zumindest wahrscheinlicher als bei dem oben erwähnten Stückpreis eines mobilen Raumluftreinigers.

 

Technische Fragen:

Zum Einsatz einer CO2-Ampel In Klassenräumen ergeben sich weitere Fragen:

  • Sind geeignete Enddgeräte verfügbar? Im Internet finiden sich mehrere Beispiele!
  • Ab welcher CO2-Konzentration sollte eine solche Ampel anschlagen?
  • Wie viele Geräte bräuchte man für einen Raum bestimmter Größe?
  • Wie müssten die Einzelgeräte vernetzt werden und
  • an welchen Stellen müssten diese angebracht werden um die partiellen Raum-CO2-Minima zu erfassen?

 

Vorteile datenbasierter Lüftungszyklen:

Es ist einhellige Meinung, dass durch Lüften die mögliche aerosolgetragene Viruslast reduziert werden kann. KRIEGEL und HARTMANN (2020) führten erste Berechnungen dazu durch. Die Erkenntnisse treffen ebenso auf das gefühlsregulierte Lüften durch die Lehrkraft zu.

 

  • Eine dateninduzierte Lüftung würde den Faktor Mensch verringern und wie dargelegt für ein geringeres Ansteckungsrisiko und damit mehr Sicherheit sorgen.
  • Im derzeitigen Sommer wird bereits regelmäßiges Lüften von Klassenräumen empfohlen, was bei den kalten Temperaturen im Winter wesentlich reduzierter als im Sommer erfolgen wird. Ob die Lüftung ausreichend war, lässt sich schwer einschätzen. Die Verwendung einer CO2-Ampel kann hier insbesondere während der Heizperiode gute Dienste leisten.
  • Vermutlich ließe sich auch die Dauer des Lüftens mit Hilfe der Ampel bestimmen. Mit dem Lüften würde frühestens geendet, wenn die Ampel auf Grün springt. Zur Sicherheit könnte hier noch ein Zeitfaktor helfen: Z.B. Springt die Ampel auf Grün wird noch x Minuten weitergelüftet.
  • Durch die Nutzung einer CO2-Ampel kommt ein weiterer Nutzen ins Spiel: Der pädagogische Effekt, da die Signalfarben der Ampel von den Schülern ebenfalls gut zu sehen sind. Die Achtsamkeit für das Lüften wird damit gemeinschaftliche Aufgabe für die gesamte Klasse und den Lehrer. Mit Hilfe der Ampeln kann ein effektiveres Lüftungsverhalten erlernt werden.

Als Nachteil sei zur Vollständigkeit aufgeführt, dass sich die Unterichtsräume im Winter während des Lüftens deutlich auskühlen und ein unangenehmes Raumklima entstehen kann. Hier gilt es im Winter eine vernünftige Balance zwischen einer gerade noch behaglichen Raumtemperatur und einem verringerten Infektionsrisiko zu finden. Und: ..... es würde uns auch keiner davon abhalten im Unterrichtsraum unsere Winterjacken dabeizuhaben, die wir dann beim Lüften überstülpen können, wenn es  uns zu kalt würde. Eine vernünftige Balance zwischen Infektionsschutz und Behaglichkeit scheint mir möglich.

 

Sollten zukünftig wirksame Impfstoffe gegen Corona vorliegen verliert eine CO2-Ampel keinesfalls Ihre Bedeutung. Je nach Raum, Klassensituation, Fach und Arbeitsintensität im Unterricht wird der Sauerstoff unterschiedlich schnell verbraucht. Einen CO2-Rechner für den Luftverbauch in Klassenzimmern finden Sie auf der Webseite des Wilhelm-Klauditz-Instituts der Frauenhofer-Gesellschaft in Brauschweig. Durch eine CO2-Ampel und entsprechendes Lüftungsverhalten kann situativ angepasst der CO2-Gehalt im Klassenzimmer gesenkt und im Verbund mit der erhöhten Sauerstoffkonzentration die Konzentrationsfähigkeit der Schüler erhöht werden. Lüftungskonzepte aus den Zeiten vor Corona finden Sie auf der Webseite des Wilhelm-Kaudlitz-Instituts.

 

Sicherheit vor einer Ansteckung kann die datenbasierte Lüftungsänderung nicht bieten. Jedoch ein verringertes Ansteckungsrisiko. Zudem liegt die flächendeckene Verwendung einer CO2-Ampel in Unterrichtsräumen aufgrund der geringen Anschaffungskosten im Bereich des Möglichen.

 

Weiteres Vorgehen:

Ich plädiere dafür in Testklassen pragmatisch und präventiv mit je einem Testgerät zu beginnen, welches mit Hilfe eines Experten an einer geeigneten Stelle angebracht wird. Begleitende Untersuchungen können dabei helfen das Messsystem kontinuierlich weiterzuentwickeln.

 

Psychologisch wird das datenbasierte Lüften zu einem deutlich erhöhten Sicherheitsgefühl in der Schulgemeinschaft führen. Dies gilt für beide Szenarien, das eine ohne Maskenpflicht oder das andere mit Maskenpflicht im Unterricht. Ich könnte mir auch vorstellen, dass Schulpolitiker über ein solches System sehr dankbar wären, da durch ein solches Detektionssystem die vermutliche Viruslast und damit das Ansteckungsrisiko verringert werden könnte. Eine staatliche Finanzierung des Projektes und von Begleitstudien scheint mir deswegen nicht abwegig.

 

Als entsprechend aktualisierte Merkhilfe für den Umgang mit dem Virus schlage ich die HALMA-Regel vor, welche im Vergleich zur AHA-Regel einerseits das Lüften ergänzt und andererseits eine für den Erfolg notwendige Intensität der Regelbefolgung formuliert:

  • Hygiene,
  • Abstand halten,
  • Lüften,
  • Maske tragen und
  • Ausdauer bei der Umsetzung der vier vorgenannten Maßnahmen.

"HALMA - und wir schlagen das Virus"


Visualisierungen zur "HALMA-Merkhilfe" sind in unserem Webshop erhältlich:


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LEDNICKY et al. 2020 - Viable SARS-CoV-2
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Kommentare: 1
  • #1

    Renate G. (Donnerstag, 13 August 2020 15:41)

    Hallo ihr beiden! Schön dass ihr euch darüber Gedanken gemacht habt und das Thema Lüften hier ansprecht! Ich halte häufiges und richtiges Lüften (zusätzlich zur Händehygiene) auch für unerlässlich! Das habe ich und eine andere Mutter schon letzten Winter in unserer Schule bemängelt, als wir zufällig mitbekamen, dass das Klassenzimmer mieft vor schlechter Luft. Und der Beweis, dass "ungelüftete Schule" nicht gesund ist, den habe ich daheim. Mein Kind war immer so oft krank und ich dann meist auch. Seit Corona-Homeschooling War/ist er gesund. ☺ Obwohl er inzwischen wieder Kontakt zu verschiedenen Menschen hat. Das muss doch was zu heißen haben....
    Daheim lüfte ich schon immer recht viel und das kann man denke ich auch in der Schule (auch ohne die Ampel) tun. Man muss es eben einbauen, evtl.mehr Pausen machen und es ist ein bisschen mehr Aufwand und ein zusätzliches "Drandenken" für die Lehrer. Mehr frische Luft täte uns aber allen gut, mit oder ohne Corona.
    Am liebsten wäre es mir, es gäbe eine "Waldschule"! Mein Kind war einige Zeit im Waldkindergarten und in den 7 Monaten hatte er ein einziges Mal einen leichten Schnupfen...
    Viele liebe Grüße